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Leseprobe

MEILENWEIT

III. DER WEG INS LICHT
Fantastisches Abenteuer

 

Er war gekleidet in einen Rock, … , einen fürchterlichen Panzermantel,

und trug auf seinem Haupt (eine Krone) … schrecklichen Glanz.

 

Berlin

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Lukas hakte seinen Karabinerhaken an der Fassade des Bode-Museums ein. Sein Gurt saß straff an den Oberschenkeln. Der Blutstau erfreute sein Geschlecht, einer der Gründe, sich für diesen adrenalintreibenden Beruf entschieden zu haben. Und natürlich der Blick, die Aussicht von den ungewöhnlichsten Positionen auf ansonsten allbekannte Orte. Unter ihm holperte die Berliner S-Bahn auf einer Brücke über die Spree, zerschnitt die Museumsinsel quietschend in zwei Teile. Die Sonne spiegelte Lukas und Marek in den Scheiben des vorbeiratternden Zuges. »Hast Du noch einen Karabiner übrig?«, brüllte Lukas durch den Lärm hinüber zu Marek, der etwa zehn Meter von Lukas entfernt ebenfalls in den Seilen an der Fassade hing. Zwischen den jungen Männern flatterte eine Großleinwand im Wind. »Nee, brauch ich selber!« Die frischgebackenen Industriekletterer hatten den Job nicht umsonst bekommen: Schließlich war es gewissermaßen ihre Ausstellung, die sie mit dem Plakat bewarben. Noch wellte sich der Heilige Gral in der aufgefalteten Leinwand, aber wenn die goldene Herbstsonne eine Falte günstig traf, fegte ein Funkelschauer über das trübe Wasser der Spree, die hier durch den Kupfergraben rann.

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Wie ein Schlachtschiff ragte das Bode-Museum aus dem Wasser. Sein Bug zierte oben eine gewaltige Kuppel und zu seinen Füßen die frisch wieder aufgebaute Brücke, die das verrostete Nachkriegsprovisorium endlich abgelöst hatte. Gleich hinter dem Wasser lief Prof. Weise im 60 Meter langen Münztresor des Bode-Museums auf und ab. Erregt fuhr er mit seiner Rechten durch sein etwas zerzaustes Haar, das sich nicht entscheiden konnte, ob es noch dunkelblond oder schon grau gefärbt war. Grübelnde Falten hatten sich in seine hohe Stirn gegraben und wollten partout nicht weichen. Da umgab ihn eine der bedeutendsten historischen Münzsammlungen der Welt. Eine Sammlung, die auf die Besessenheit des preußischen Königshauses zurückging und dessen Goldgiganten er erst kürzlich, als die Wirtschaftskrise der Industrienationen den Goldpreis in schwindelerhöhende Regionen peitschte, in einer vielbeachteten Ausstellung zur Schau gestellt hatte. Und doch war zwischen all den Schätzen, die er seit Jahrzehnten behütete und wissenschaftlich aufarbeitete, nichts so bedeutend gewesen, wie das, was ein paar Gören Anfang des Jahres mitten in Berlin ans Tageslicht befördert hatten.

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Er war quasi von Anfang an dabei gewesen: Zuerst war da ein beleibter, immer leicht schwitzender Kommissar der Mordkommission, der ihm einen Golddukaten aus dem Mittelalter vorgelegt hatte, um ihn auf seine Echtheit zu prüfen. Eine Goldmünze, die, wie sich später herausstellen sollte, von einem Blondschopf stammte, der nun vor seinem Fenster an der Fassade des Museums baumelte und die neue Werbefläche installierte. Die Münze noch nicht einmal richtig untersucht, wurde er, der Professor, vom gleichen Kommissar in einen U-Bahnschacht in Berlin-Tempelhof zitiert, hinter dessen Schachtwand sich der sagenumwobene unterirdische Bau der Tempelritter auftat, nach der solange gesucht worden war. Nachdem die ganze Stadt nach der deutschen Wiedervereinigung zur neuen Hauptstadt komplett umgebuddelt worden war, jede Straße erneuert, U-Bahn-Tunnel, Kabelschächte, Wohnviertel, Wolkenkratzer neu gebaut wurden, glaubte niemand mehr wirklich an diese sagenumwobene Geschichte aus dem Mittelalter. Dennoch, wie ein Wunder, tauchte pünktlich zum 700sten Jahrestag des Untergangs des Ordens der Tempelritter plötzlich diese Burg oder Kapelle eigentlich wie aus dem Nichts auf! Doch bedeutender noch als das Bauwerk selbst war sein Inhalt. Und er, Prof. Weise, war nun der vielbeachtete Kurator des Berliner Templerschatzes! Ergriffen strich sich Prof. Weise abermals durch sein doch eher ergrautes Haar. Er stand auf dem absoluten Höhepunkt seiner Karriere. Pure Freude wischte die Plastizität seiner Grübelfalten hinfort.

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Knut

 

Der Mann im dunklen Anzug zog seine hauteng anliegenden Handschuhe fester über seine Handgelenke. Seine stahlblauen, etwas zu dicht stehenden Augen fixierten mit stechendem Blick noch den Hörer, als er schon die nächsten Schritte in seinem kahlrasierten Kopf durchdachte. Er musste nach Berlin. Sofort. Die Hawker-Beechcraft des Konsortiums stand augenblicklich in einem der beiden Hangar des neuen VIP-Terminals des Wiener Flughafens.

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Der Mann im dunklen Anzug und dem Gesichtsausdruck eines Berufskillers streckte seine behandschuhte Rechte abermals zum Hörer aus und drückte in schneller Folge die Tasten des Telefons. Er kannte die Nummer wie aus dem ff, und obgleich er sie auch aus dem Speicher des Telefons hätte abrufen können, tippte er die Zahlenfolge manuell ein. Er sah es als Training für sein Gehirn an. Sich Zahlenfolgen akkurat merken zu können, machte ihn auch unabhängig von einem bestimmten Telefon oder Standort.

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Eine verschlafene Stimme meldete sich am anderen Ende. Er hatte den Piloten aus dem Bett geholt.  Er gab ihm eine Stunde, dann wollten sie sich am VIP-Terminal treffen. Zufrieden stiefelte Knut ins Bad, öffnete den Spiegelschrank und packte nacheinander nicht nur Zahnputzzeug und Nassrasierer, sondern außerdem eine ganze Palette von Plastikdosen mit Nahrungsergänzungsmitteln in sein Necessaire: Proteine, Fettburner, indizierte Anabolika. Er zog eine Schublade auf, holte eine partyübliche Abpackung heraus, öffnete das Tütchen und schüttete das weiße Pulver auf einen offenbar extra für dieses Ritual bereitstehenden Spiegel. Aus seinem Portemonnaie kramte er seine Amex und begann sofort, die weißen Klümpchen auf dem Spiegel zu feinem Pulver zu zerstoßen. Genüsslich leckte er den bitter schmeckenden Kartenrand mit der Zunge ab, bevor er die Plastikkarte ins Portemonnaie zurückschob. Aus einer Anzugsinnentasche zog er ein schmales Lederetui heraus, öffnete es, griff nach dem mit funkelnden Brillanten besetztem Goldröhrchen, steckte es in ein Nasenloch, beugte sich vorn über, bis das Röhrchen das eine Ende des langgezogenen Pulverhaufens erreichte. Tief zog er das Pulver ein. Dann befriedigte er sein zweites Nasenloch, gab einen quietschenden Laut von sich und verließ das Bad. Jetzt konnte die Nacht weichen, auch wenn die Sonne nicht vor dem Hahnenschrei aufgehen würde. Doch nicht nur sein Hirn brannte sich nun kristallklar durch die Nacht, auch Lust verspürte er zwischen den Beinen, ohne dass sein Glied sich bewegt hätte. Ein unangenehmer Beigeschmack des Kokskonsums, den er besser mit einem zweiten Mittel abfangen sollte. Gingen nicht auch die Papuas am Sepik mit übergestülpter Kalebasse auf Jagd, schnippten sie nicht aufgeregt mit den Fingern auf die Penishülse, um mit gestärktem Glied dem Leistenkrokodil in die Augen zu sehen, bevor sie es mit dem Speer nächtens durchbohrten? Noch ein Griff in das Spiegelschränkchen und schon hielt Knut die Dose mit den Tripower-Kapseln in seiner Rechten. Hätte er das Kleingedruckte gelesen, wüsste er um die Kraft des Maca-Wurzelextraktes der Inkas, der Yohimbe-Rinde der Massai und der Hawaiianischen Holzrosensamen der Krokodilmenschen vom Sepik. Das würde seine Leistungsfähigkeit weiter steigern, die Beckenbodendurchblutung mit allem, was daran hing und hoffentlich bald stand, optimieren sowie seinen Körper überhaupt mit Euphorie und wohltuendem LSD-Kribbeln überziehen.

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Kraftvoll schnappte sich Knut das Necessaire, schob es auf dem Weg zum Ausgang in einen bereitstehenden Aktenkoffer und verließ sein Wiener Appartement.

Knut bewegte seinen durchtrainierten Körper geschmeidig wie ein schwarzer Panther über das Vorfeld. Der Pilot hatte die Maschine bereits aus dem Hangar manövriert und die Hawker-Beechcraft stand zum Einstig bereit.

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Die Beechcraft ist der Mercedes unter den Kleinflugzeugen. Sie ist für 7 Passagiere ausgelegt und verfügt über Turboprop-Triebwerke, die die Maschine auf über 800 km/h bringen kann. Damit kann sie es auf kurzen Strecken allemal mit einem Passagierflieger aufnehmen. Und wenn man die Abfertigungs- und Sicherheitsprozeduren bedachte, die die paranoiden US-Behörden der ganzen Reisewelt nach 9/11 aufgedrückt hatten, war man mit einem Privatjet allemal schneller als der Holzklassereisende.

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© Marcus Schütz 2018

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